Den Patienten helfen

09/2022: Zustände akuter Verwirrtheit sind keine Seltenheit. Frühe Erkennung und Behandlung sind deshalb zentral.

10 bis 30 Prozent aller Patienten können während ihres Spitalaufenthalts in einen Zustand akuter Verwirrtheit geraten. Dies hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Patienten, auch Angehörige und Behandlungsteams im Spital sind gefordert. Deshalb sind die frühe Erkennung und Behandlung zentral.

 

Der 84-jährige Jakob M. wird auf die Notfallstation gebracht. Er ist zuvor zu Hause gestürzt. Diagnose: Hüftfraktur. Eine Operation ist notwendig. Herr M. verspürt starke Schmerzen, die ungewohnte Umgebung und die Operation mit anschliessender Verlegung auf die Intensivstation sind zusätzlich belastend in dieser Situation. M. wird zunehmend unruhiger, für ihn bedeutet der Spitalaufenthalt Stress pur. In der Nacht reisst er sich die Infusion aus dem Arm und hat Wahnvorstellungen. Am Morgen weiss er nicht mehr, wo er sich befindet und ist verwirrt. Seine Frau ist nach ihrem Besuch sichtlich bestürzt: «Das ist nicht mein Mann! So kenne ich ihn gar nicht!»

So oder so ähnlich ergeht es leider vielen, vor allem älteren Patienten. «Sich im Delirium befinden» oder Delir, wie der Fachbegriff für diesen Zustand lautet, ähnelt in seinen Symptomen anderen psychischen oder kognitiven Störungen wie beispielsweise einer Demenz oder Depression – es muss davon aber klar unterschieden werden. Ein Delir kann sich durch verminderte Aufmerksamkeit, Unruhe, Desorientierung, ein getrübtes Bewusstsein, Halluzinationen, Angst oder Vergesslichkeit äussern. Das Delir ist eine Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, einhergehend mit der Beeinträchtigung weiterer kognitiver Funktionen. Es wird zwischen einem hypoaktiven und einem hyperaktiven Delir unterschieden. Ersteres macht sich in einer verlangsamten Motorik, Passivität oder Teilnahmslosigkeit bemerkbar, weshalb es oft übersehen wird, während beim hyperaktiven Delir der Patient unruhig ist, nestelt, aufstehen will oder manchmal sogar aggressiv ist.

Ein Delir beginnt meist innerhalb weniger Stunden oder Tage und schwankt typischerweise im Tagesverlauf. In der Regel ist es reversibel, der Patient erholt sich davon für gewöhnlich innerhalb weniger Tage. In seltenen Fällen kann ein Delir jedoch wochen- und monatelang andauern. Zudem kann es ernsthafte Folgen haben – zum Beispiel, wenn die Patientin oder der Patient stürzt, eine Demenz beginnt oder sich verschlimmert, sich das Sterberisiko erhöht oder er oder sie verfrüht in ein Pflegeheim eingewiesen werden muss.

 

Was verursacht ein Delir?

Die Ursachen eines Delirs sind vielfältig. Über hundert Risikofaktoren sind bekannt, die Delirien begünstigen können. Dies sind beispielsweise Schmerzen, Infektionen, Stoffwechselstörungen, Sauerstoff-Minderversorgung, Medikamente, Alkohol- oder Schlafmittel-Entzug, Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel, Verstopfung oder emotionaler Stress. Letzterer wird zum Beispiel ausgelöst durch Reizüberflutung oder eine neue Umgebung, wie es bei einem Spitalaufenthalt der Fall ist. Je mehr Risikofaktoren sich bei einem Patienten kumulieren, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Delir entwickelt. Gehäuft tritt ein Delir jedoch bei älteren Menschen auf, vor allem, wenn bereits eine Demenz oder andere Begleiterkrankungen vorliegen.

 

Delirmanagement: Frühe Erkennung ist das A und O

«Wichtig ist, das Delir beim Patienten früh festzustellen oder auch bei gewissen Warnsignalen präventiv zu agieren», sagt die Leiterin Pflegeentwicklung Manuela Pretto. «Je länger und gravierender dieser Zustand nämlich andauert, desto grösser ist die Gefahr von Komplikationen wie Stürzen und umso schlimmer sind die Folgen für die Patienten.» Die Pflegeexpertin APN schult sowohl Pflegende als auch Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit dieser häufig auftretenden neuropsychiatrischen Störung im Alter. Aber auch bei jüngeren Patienten kann ein Delir bei einer schweren Erkrankung auftreten. «Die interprofessionelle Zusammenarbeit ist essentiell für eine erfolgreiche Delir-Diagnostik und -Behandlung und eigentlich nur mit Teamarbeit zu erreichen», ist Pretto überzeugt. «Ziel unseres Delirmanagements ist ein einheitliches und effizientes Vorgehen bei der Betreuung von Menschen mit einem Delir-Risiko respektive mit bereits vorhandenem Delir. Eine systematische Prävention ist zentral, ein Teil der Delirien kann dadurch verhindert respektive vorhandene Delirien verkürzt und gelindert werden.»

Mit pflegerischen Massnahmen gegen ein Delir

Pflegefachpersonen auf den Bettenstationen haben viel Erfahrung im Umgang mit komplexen und auch deliranten Patienten. Die schnelle Identifizierung eines Delirs und der zugrundeliegenden Ursache ist essentiell, um eine rasche Therapie einzuleiten. Bei der Behandlung wird Wert auf pflegerische Massnahmen gelegt sowie darauf, in erster Linie ohne (Psychopharmaka-)Medikamente auszukommen (ausser bei Schmerzen oder Infekten). Für einen Delir-Patienten ist sowohl die Kontinuität in der Betreuung wichtig als auch, dass die Pflegende den Patienten gut kennt: So ist es möglich, den Stress des Patienten zu reduzieren, viel Verständnis aufzubringen und ihm Sicherheit zu geben. Von grosser Bedeutung ist zudem das familiäre Umfeld. Angehörige nehmen den veränderten kognitiven Zustand ihres Patienten oft sehr deutlich und schneller wahr und sind daher eine wichtige Stütze bei der Erkennung eines Delirs und dessen Behandlung. Zur Unterstützung und besseren Information der Angehörigen wurde im GZO Spital Wetzikon deshalb eine Broschüre in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Basel erstellt. Eine neue, kurzgefasste «Checkliste Delir-Management», die in die Kitteltasche passt, unterstützt zudem Pflegende und Ärzte bei der Behandlung. Manuela Pretto bespricht die einzelnen Fälle auf den Stationen jeweils mit den verantwortlichen Pflegenden und Ärzten, dabei wird der gesamte Gesundheitszustand miteinbezogen und das weitere Vorgehen festgelegt. «Beim Besuch der Patienten ergeben sich immer wieder berührende Begegnungen. Wir alle sind froh, wenn wir eine Verbesserung des Zustands unserer Patienten feststellen können», sagt sie. «Manchmal sind es die kleinen Dinge, die zum Heilungsprozess beitragen, beispielsweise ein vertrautes Foto der Familie, ein eiweissreiches, kühles Frappé, die Brille oder das Hörgerät für die bessere Orientierung, Entspannung durch Schmerzlinderung oder ganz einfach der Toilettengang».

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