Knifflige Diagnosen

12/2017: Auch in einem Spital ist der Weg zur richtigen Diagnose nicht immer gradlinig. Das kann verschiedene Gründe haben: Multimorbide Krankheitsbilder, anatomische Besonderheiten oder ungewöhnliche Symptome fordern unsere Ärzte immer mehr heraus. Wir stellen Ihnen drei Patienten mit ihren besonderen Krankheitsgeschichten vor.

Fall 1

Geschlecht: männlich

Alter: 85

Symptome: entzündete Hautauffälligkeiten mit Bewegungsschmerz an Hand und Ellenbogen

Diagnose: Aquarium-Granulom

Seit über 50 Jahren hat Herr B. zuhause Zierfische; eine Leidenschaft seiner Frau, die über die Jahre auch zu seiner wird. Das erste grosse Aquarium baut er sogar selbst, später kaufen sie dann ein 300 l grosses aus Vollglas. Dass ihn sein Hobby irgendwann krank machen könnte, wäre Herrn B. nicht im Traum eingefallen.

Letztes Jahr zu Weihnachten verspürt Herr B. plötzlich Gelenkschmerzen am rechten Unterarm und an der Hand, vor allem morgens und abends. Schnelle Bewegungen bereiten ihm Mühe. Sein Hausarzt überweist ihn an einen Rheumatologen. Der Verdacht auf Gicht erhärtet sich jedoch nicht, auch kann trotz aufwändiger Suche nach diversen Mikroorganismen kein Erreger nachgewiesen werden. Zudem bemerkt Herr B. kleine Hautveränderungen: Auf seinen Knöcheln bilden sich ca. 8 mm grosse Knötchen, ähnlich wie Warzen, die sich entzünden. Die Läsionen werden zunächst mit Kortison behandelt, trotzdem bessern sich die Stellen nicht langfristig. Als zudem noch der rechte Ellenbogen schmerzhaft anschwillt, muss gehandelt und der Eiter operativ entfernt werden.

Es ist der Rheumatologe, dessen Hartnäckigkeit schliesslich die Diagnose liefert: Im Kantonsspital Winterthur wird eine Gewebeprobe von Herrn B. erneut mit einer speziellen Kulturmethode sowie einem Gen-Nachweis auf Mycobacterium marinum untersucht – der Erreger ist gefunden! Das stäbchenförmige Bakterium gehört wie der Tuberkulose-Erreger zur Gruppe der Mykobakterien und findet sich in vielen Schweizer Aquarien. Dass es auf den Menschen übergeht, ist zwar sehr selten, aber möglich. An verletzten Hautstellen, die mit Aquarium-Wasser in Berührung kommen, kann es Infektionen verursachen, das sogenannte «Aquarium-Granulom». Herr B. bestätigt, dass er immer mit der rechten Hand bis zum Ellenbogen im Wasser arbeitet.

Herr B. beginnt sofort eine aufwändige Antibiotika-Therapie: Er muss drei verschiedene Antibiotika nehmen. Nach zwei Monaten intensiver Therapie kann dank klinisch gutem Ansprechen auf eine Zweierkombination reduziert werden. Leider wachsen nach sechs Monaten antibiotischer Behandlung am Handrücken erneut kleine Abszesse, welche operativ entfernt werden müssen. Wieder kann Mycobacterium marinum nachgewiesen werden. Ein erneuter antibiotischer Zyklus ist notwendig, diesmal mit einer Viererkombination bis zum Erhalt der Resistenzdaten. Sobald diese vorliegen, wird die Therapie erneut angepasst und das hartnäckige Bakterium hoffentlich endgültig erledigt.

Sein Aquarium steht nun leer im Keller, die Fische hat Herr B. seinem Sohn mitgegeben. Seine Frau und er vermissen ihre langjährigen Begleiter – aber mit dieser Krankengeschichte wollen sie nun endgültig abschliessen.

 

Fall 2

Geschlecht: weiblich

Alter: 20

Symptome: starker Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen, hohes Fieber

Diagnose: Doppelte Malaria

Schon auf dem Rückweg von Athen nach Zürich geht es der Flight Attendant Frau B. schlecht; sie klagt über Schüttelfrost, hat so starke Kopf- und Rückenschmerzen wie nie zuvor und fühlt sich fiebrig. Sie möchte Schmerzmittel einnehmen, doch kann sie die Tabletten aufgrund ihrer geschwollenen Mandeln nicht mehr schlucken. Die Crew entlässt sie in Zürich. Ihre Symptome verschlimmern sich. Kaum zuhause angekommen, fährt ihr Vater mit ihr auf die Notfallstation des GZO Spital Wetzikon. Dort wird ihr Blut abgenommen und Fieber gemessen. Zunächst fällt der Verdacht wegen der starken Rückenschmerzen auf eine Nierenentzündung, die Urinanalyse bestätigt diesen Verdacht jedoch nicht.

Da sie acht Tage zuvor arbeitsbedingt in Tansania war und dort mehrfach von Mücken gestochen wurde, wird auch ein aufwändiger Malaria-Test gemacht. Nach zwei Stunden ist das erste Ergebnis da: nicht nachweisbar. Aufgrund der Schluckbeschwerden mit deutlich geröteten und geschwollenen Rachenmandeln wird bei Verdacht auf eine Mandelentzündung eine antibiotische Therapie begonnen. Es ist die Nacht des 1. Augusts: Von ihrem Zimmer hat Frau B. freien Blick auf das Feuerwerk der umliegenden Gemeinden.

Am nächsten Morgen wird ihr erneut Blut abgenommen: «Bei Verdacht auf Malaria müssen drei Tests an verschiedenen Tagen durchgeführt werden. Die Malariaerreger (Plasmodien) haben einen speziellen Lebenszyklus und lassen sich deswegen teilweise schwer nachweisen», sagt Dr. Christian Rüegg, Leiter Infektiologie am GZO. Auch im zweiten Bluttest gelingt kein Malarianachweis. Da sich auch ihr Allgemeinzustand bessert, wird Frau B. nach Hause entlassen. Aber schon am nächsten Tag erhält sie einen Anruf von Dr. Rüegg, sie müsse nochmals kommen: Der Malaria-Verdacht bestätigt sich im dritten Test nun doch, eine umgehende Therapie ist notwendig.

Malaria wird durch infizierte weibliche Stechmücken der Gattung Anopheles auf den Menschen übertragen. Ist der Erreger in einen menschlichen Organismus eingedrungen, wandert er zunächst in die Leber und befällt dann die roten Blutkörperchen. Die ersten Symptome treten erst einige Tage nach dem Stich auf, je nach Malaria-Typ können bis zu 40 Tage vergehen. Beim Ausbruch der Malaria verursacht der Erreger meist eine starke Entzündung, die erkrankte Person verspürt grippeähnliche Symptome (Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Erbrechen). Wird die Malaria frühzeitig erkannt, ist sie meist gut therapierbar, unbehandelt kann sie abhängig vom Typ jedoch einen schweren Verlauf nehmen und im schlimmsten Fall tödlich enden. Bei den schweren Formen der Malaria leiden manche Erkrankte an neurologischen Komplikationen (Bewusstseinsstörungen, Krämpfe, Koma), an schwerer Anämie (Blutarmut) oder Hypoglykämie (Unterzuckerung). Im schlimmsten Fall kann es zu einem Multiorganversagen kommen.

Die Malaria von Frau B. ist zum Glück gut behandelbar, noch am Tag der Diagnosestellung wird eine gezielte Therapie begonnen. «Tatsächlich war es gar nicht so schlimm, diese Diagnose zu hören. Im Gegenteil: Endlich wusste ich, was ich hatte», sagt Frau B. Ihr Blut wird zur genauen Bestimmung des Malaria Typs ans Schweizerische Tropeninstitut geschickt. Es stellt sich heraus, dass Frau B. sogar eine «Doppelmalaria» hat, d. h. eine Infektion mit zwei verschiedenen Malaria-Arten gleichzeitig. Die speziellen Malaria-Medikamente, die Frau B. nun für die nächsten zwei Wochen zur Bekämpfung von «schlafenden» Malaria-Erregern der Leber (sogenannten «Hypnozoiten») nehmen muss, erhält sie in der Kantonsapotheke in Zürich, und auch dort müssen sie zunächst aus dem Lager geholt werden. Es werden regelmässig Bluttests durchgeführt, um den Therapieerfolg zu kontrollieren. Auch beim abschliessenden Test sechs Wochen nach Therapiebeginn können keine Malaria-Erreger mehr nachgewiesen werden. Für Frau B. steht fest: Sollte sie noch einmal in einem Hochrisikogebiet unterwegs sein, wird sie definitiv die empfohlene Malaria-Prophylaxe einnehmen.

 

Fall 3

Geschlecht: männlich

Alter: 30

Symptome: unklare, starke Muskelkrämpfe und Kribbeln am ganzen Körper

Diagnose: Nierenerkrankung mit Verlust von Blutsalzen

Mit 15 Jahren wird bei Herrn R. eine leichte Nierenschwäche diagnostiziert, ohne eigentliche Beschwerden. In der Computertomografie (CT) werden sogenannte «medulläre Zystennieren» nachgewiesen, d. h., es gibt kleine flüssigkeitsgefüllte Hohlräume (Zysten) in der Niere, welche das normale Nierengewebe verdrängen und so eine Nierenschwäche verursachen.

Die Beschwerden treten erst auf, als Herr R. 20 Jahre alt ist – dann aber erschweren sie sein Leben immens. Immer wieder leidet er nun an starken Muskelkrämpfen, sein ganzer Körper kribbelt, er hyperventiliert und hat teils massive Kopfschmerzen. Es wird eine Migräne diagnostiziert. Während der letzten Jahre treten die Symptome vermehrt und verstärkt auf, sodass Herr R. mehrfach die Notfallstation des GZO Spital Wetzikon aufsucht. Herr R. fühlt sich wie unter einer Glocke; teils ist er so müde, dass er auch bei der Arbeit immer wieder krankheitsbedingt ausfällt.

Dann trifft es ihn besonders schlimm: Beim nächsten Anfall verspürt er das Kribbeln überall, seine Arme und Beine krampfen und zucken, das Reden fällt ihm über Stunden schwer. Voller Angst suchen seine Eltern mit ihm erneut den Notfall auf. CT und Ultraschall ergeben keine Hinweise. Auch die neurologischen Befunde sind unauffällig, bis auf die bekannte Nierenfunktionsstörung. In den Blutuntersuchungen jedoch zeigt sich eine schwere Störung der Blutsalze mit viel zu tiefen Werten von Magnesium, Phosphat und Kalzium.

Im Spital werden Herrn R. nun die betroffenen Blutsalze intravenös in hoher Dosis verabreicht – und alle Symptome bilden sich vollständig zurück. Die Durchsicht alter und neuer Fakten sowie Konsultation weiterer Spezialisten, führen zum Verdacht einer HNF-1-Beta-Mutation, welche schliesslich in einem Gentest nachgewiesen werden kann. Die behandelnden Ärzte gehen davon aus, dass es sich um eine angeborene Mutation handelt, welche die Beschwerden der medullären Zystennieren mit der Einschränkung der Nierenfunktion und den Verlust gewisser Blutsalze verursacht. Weitere mögliche Symptome der Mutation, wie z. B. eine Frühform der Zuckerkrankheit, hat Herr R. glücklicherweise nicht.

Wieder zuhause nimmt Herr R. die Blutsalze als Tabletten ein, die Dosis kann er nach und nach reduzieren. Herr R. lebt seitdem beschwerdefrei – und auch bei der Arbeit hat er deswegen nie mehr länger gefehlt.

Rettungsdienst

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Krankheit und Unfall

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